Merzouga: Wüsten-Disneyland

Meine ganz persönliche Abrechnung mit Merzouga (und es bitte genau so verstehen: als extrem persönliche Meinung).

Als ich 2006 (oder so) das erste Mal hier war (Rallye), da gab es hier keine Tankstelle (wir mussten 35 Kilometer nach Rissani fahren), keine Werkstatt, kein Alkohol. Wieso auch, hier war ein Sandkasten (Erg Chebbie), der eigentlich nur für Motorgetriebene Fahrzeuge spannend war (durch den Erg gibt es einen Track, das „Dakar Crossing“, die ging auch mal hier durch).

Mittlerweile gibt es hier mehr  Hotels als Palmen (über 500 gibt Booking.com an),

es gibt 3 Tankstellen, endlos viel Anbieter von verschiedenen vermeintlichen Attraktionen (Kamelreiten, Quad/ADV-Fahren, Wanderungen etc.), und jeder, wirklich jeder Marokko-Tourist findet hierher. Hier  begegnet man so vielen Motorradfahrern wie Sonntags an der Mosel, und genau wie dort wird hier nicht mehr gegrüßt. Und an all den Alukoffern der Motorrädern sieht man den „Merzouga“-Aufkleber vor sich, der beim nächsten Stammtisch von „Abenteuer in der Wüste“ zeugen soll (wobei jeder eigentlich weiß, das niemand wirklich mit Alukoffern in den Sand fahren würde).

Zahllose Touranbieter versprechen „Reise in die Sahara“, und zahllose Touristen wollen hierher, um „eine Nacht in der Sahara“ zu verbringen. Ich lese es in den Facebook-Gruppen und höre es in Podcasts. Es ist zum Verzweifeln.

Leute: Der Erg Chebbie ist ein Sandkasten, 20 mal 5 Kilometer groß (und damit noch nicht mal der größte in Marokko).

Das rote ist der Erg Chebbie

Die „Sahara“ ist 9 Millionen Quadratkilometer groß und damit fast so groß wie die USA:

Ungefähre Ausdehnung der „Sahara“

Aber in wieviel Blogbeiträgen, Facebook-Posts und Tourenbeschreibungen wird eine „Nacht in der Sahara“ angeboten? „Wüstenfeeling“? Voller 4G-Empfang und Realtime-Reels in Facebook, klimatisierte „Berberzelte“ zur Übernachtung in der „Wüste“? Finde den Fehler.

Ich gönne es den lokalen Dienstleistern, dass ihr Geschäft brummt und brummt, ich bedauere nur die Leute, die nach einer Woche Marokko heimfliegen und sagen, sie seien „in der Wüste“ gewesen (dabei sind sie mit klimatisierten 4-Wheel Toyotas 5 Kilometer weit in den Sandkasten gebracht worden) und hätten „in der Sahara übernachtet“. In komfortablen Zelten mit Klimaanlage (!)  und Lichtschaltern (!!) und eigener Dusche (!!!) und natürlich „authentischer“ musikalischer Begleitung durch fantasievoll bunt  gekleideter Trommler „auf folkloristischen Instrumenten“.

Ich will das überhaupt nicht gegen unsere Form des Tourismus  stellen, sowas kann, soll und muss nicht jeder machen. Aber etwas mehr Respekt vor der Wüste solltet ihr schon haben. Wenn die Touranbieter mit zwei Übernachtungen die Leute von Marrakesch durch all die schönen Berge und Täler in Highspeed hier in die „Wüste“ karren und zurück, dann ist das sensationelles Marketing  und trägt zum Bruttosozialprodukt des Landes nicht unerheblich teil (deswegen ist es ja gut so), aber Leute, die ihr das macht: Gesteht euch ein, ihr fahrt ins  Wüsten-Disneyland, und habt vom Land  nix gesehen und keine Wüste erlebt. Wie Centerparks: Eine einzige Illusion. Und das hat das Land (meiner Meinung nach) und die Wüste nicht verdient.

Bei Sandsturm kein Geschäft

Die Menschen hier sind (außerhalb von Merzouga), wenn man mit ihnen in Kontakt kommt, so aufmerksam, hilfsbereit und interessiert (ok, das sind sie in Merzouga auch, aber anders motiviert), dass ich jeden bedauere, der in einem Podcast von seiner „Reise in die Wüste in 5 Tagen“ erzählt („und kann man da auch vegan essen?“) und von denn „netten Leuten, und die sprechen englisch und spanisch und französisch und deutsch“ berichtet (doch, solche Podcasts gibt es).

Kamelparkplatz

Es gibt ein paar wenige asphalierte Straßen in Merzouga, und biegt man mal  davon ab, dann sieht  man, dass das viele Geld der vielen Touristen in die Kassen großer Investoren  fließt, die „Bevölkerung“ darf auf einen schlecht bezahlten Job in der Gastro  hoffen, doch die große Kohle bleibt nicht hier. Nun, warum sollte es hier anders sein als anderswo, wo Illusionen touristisch verkauft werden.

Ich für meinen Teil bin froh, dass wir morgen hier wieder wegfahren, und dass ich auf  „meiner“ Straßentour  dieses Disneyland ausgelassen habe.

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  1. Recht hast du, das hat die/der Wüste nicht verdient

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