Therapeutische Fahrt

Vorab zur Info: Ich bin Ende April 2019 auf der Autobahn bei ca. 120 km/h von der Africa Twin gestürzt. Ein geplatzter Vorderreifen hat mir einen sauberen Highsider mit echter Airtime beschert. Und naturgemäß hinreichend schwere Verletzungen, Notoperation, Intensivstation etc. . Wie später nachgewiesen werden konnte, hatte die Werkstatt beim Reifenwechsel drei Tage vorher die Unterlegscheibe, die auf das Ventil kommt, beim Schlauchreinfummeln verloren, sie wanderte drei Tage zwischen Schlauch und Mantel, um sich dann auf der Autobahn dann doch zu verkanten und den Schlauch aufzuschlitzen. Um dem Arzt Lügen zu strafen, diese Saison sei wohl passé, habe ich mich in den letzten Septembertagen des gleichen Jahres auf meine erste Tour nach dem Sturz gemacht, um dieses Trauma zu überwinden. Daher der etwas seltsam klingende Ton der nun folgenden Aufzeichnungen von dieser Tour.

Heftchen lesen ist das eine. Aufstellmoment beim Bremsen in der Kurve von dem einen oder dem anderen Moped,  wer wird Alpenkönig (in dem einen Heft natürlich die 1200 GS, in dem anderen die 790 KTM), Bilder der Bonneville T120 schauen. Und immer hoffen, dass es beim ersten Mal auf dem Motorrad nicht so schlimm wird mit der Angst. Hoffen, dass es wieder Spaß macht. Wie das Trauma beherrschbar wird. Oder ob es das war, und in Zukunft nur sehnsüchtig den Cruisern hinterherschauen.
Also der Werkstatt Druck gemacht, „macht sie fahrbereit“ , und siehe da: kein Lenker verzogen, läuft kerzengeradeaus. Ok, die ersten Meter, als ich die AfricaTwin abgeholt habe, waren spannend. Aber eh nur Landstraße. Lorsbachtal mit 60, wie es angeschrieben steht.
Und dann „Blut geleckt“ (Notiz: bei Gelegenheit den Ursprung dieses Sprichworts ermitteln). WetterApp sieht gut aus, vielleicht die letzten schönen Tage in diesem Jahr?
Warum leckt sich der Hund die Eier? Eben. Also kurz „Bescheid gesagt“ , die nächsten Tage unterwegs. Die Hecktasche gepackt, viel zu schwer, aber beide Laptops mitgenommen. Und Kettenspray. Und Helmpolsterreinigungsspray. Und Visierreinigungsspray. Und ein Buch.
Rokstraps (nochmal) gekauft (viel hilft viel), aber gibt nix besseres zum Verzurren der Tasche. 

Warme lange Unterhose (nach drei Stunden ausgezogen) und neue warme Handschuhe (durchaus nützlich),  Route aufs Garmin gespielt (hatte anfangs noch die falsche Einstellung), und irgendwo hinter Mainz nach den ersten zittrigen Kilometern von der Autobahn wieder runter und in die Pfalz. Herrje, gibt es da kleine Straßen. Und wie die AfricaTwin schnurrt. Nur das mit dem Kurvenblick will noch nicht so richtig laufen, noch sehr langsam und vorsichtig. Nicht nach rechts in die Leitplanke schauen, in die ich schlittern würde, wenn jetzt der Reifen platzt. Aber der Blick geht noch zu sehr auf die nächsten 10, 20 Meter, nicht weiter. Nun denn, üben üben üben. Und aufmerksam zuhören:  Kommen da Geräusche von unten? Löst sich da gerade eine Schraube vom Rad? Was knistert und knackt da? Rechts auf einen Parkplatz, Moped schütteln, vorne tief in die Gabel eintauchen. Nix. Da rollt ein anderes Motorrad den Berg hinab, und auf einmal hört sich das Knistern an wie Rollsplit, der gegen den Motor prasselt. Diese Saubande hier, flicken die Straße und nehmen zumindest für mich zu früh die Hinweisschilder weg. Aber mein treues Ross hat es mir signalisiert: mach bisschen langsam, gibt noch etwas Rollsplit auf der Gasse.

Zum Fotostop rechts in einen schmalen asphaltierten Waldweg gefahren, Luft und Stimmung genießen. Nur etwas schmal der Weg zum Wenden. Dann halt weiter in den Wald hinein. Der Asphalt endet in die einem Schotterweg, dann halt weiter. Bin etwas zu langsam, das Schiff schaukelt. Also hoch in die Rasten, im Stehen lässt es sich besser steuern. Oja, sogar gut. Leichte Gewichtsverlagerung, zentimetergenau lässt sich jeder größere Stein umzirkeln (solange ich nicht auf den Stein starre, sondern die Linie um den Stein herum. Da war sie wieder, die Blickführung).   Von hier oben wirkt der Weg gar nicht so rauh.  Kurz setzen, huch wie niedrig und wackelig, wieder hoch. Es dauert, bis eine entspannte Haltung gefunden wird. Leicht in den Knien und nach vorn gebeugt, Lenker locker im Griff. Folge dem Vorderrad,  es weiß wohin es will. Bergauf, um Kurven, mal durch eine Pfütze,  wieder runter. Eine sehr entspannte halbe Stunde, der leise tuckernde Motor, das gute Gefühl die schwere Fuhre im Stehen manövrieren zu können,  und dabei nicht überlegen ob die spitzen Steine ein Loch in die Reifen bohren können….

Wieder zurück auf der Straße neues Übungsprogramm: Konzentration auf die Vorderradbremse, Fuß weg von der hinteren Bremse ( die Erinnerung an den ersten Abflug durch die Panikbremsung hinten ist noch sehr präsent) .Trau dich, auch in der Kurve zu bremsen. Achte auf das „Aufstellmoment“ , zur Not feste gegendrücken. Funktioniert. Technik ist alles. Grinsen frisst sich ins Gesicht. Nach 400 Kilometer in eine „Stadt“ gefahren und Hotel gebucht. Viel zu teuer gegessen, ein kleines Glas Wein 7 Euro. Aber glücklich.

Den nächsten Tag mit den warmen Handschuhen begonnen, Pässe Pässe Pässe. Eine Spitzkehre nach der anderen. Nur so lernt man es. Wieder Blickführung geübt,  geht besser. Vertraue, dass du da lang fährst wo du vorher hingeschaut hast. Auf 20 Meter maximal 1 Sekunde Reaktionszeit, also nicht die nächsten 20 Meter schauen, sondern weiter. Weit da vorne spielt die Musik, nicht vor dem Vorderrad.
 Geiler Pass, umdrehen und nochmal. Hupen vor dem überholen, immer feste auf die Hupe. Und manchmal vor den Kurven. Gibt Sicherheit. Und dass ist es, was ich brauche. Sitzhaltung ändern:  mehr nach vorne, Ellbogen leicht raus, mehr Druck aufs Vorderrad. Scheitelpunkt suchen, finden und dann den Hahn langsam spannen, Druck gegen die Lenkerinnenseite (hat was mit Physik zu tun, nicht mit Logik), Moped legt und bewegt sich wie in der Theorie. Nicht so oft schalten, mal bis 6000 drehen , Motorbremse und genug Druck auf der Kurbelwelle fürs Rausbeschleunigen. Das Grinsen wird breiter, Selbstgespräche im Helm. Aber erstmal nur bergauf, da ist die Physik auf meiner Seite. Bergab schiebt zuviel Gewicht, das gebremst werden muss. Ich merke wie gemütlich ich den Pass hinab rolle (immerhin mit 60 Sachen), als mich zwei Rennrad-Fahrer überholen. Radfahrer. Überholen. Mich auf dem Motorrad. Selbst in den Serpentinen komme ich ihnen nicht näher. Trainieren wohl für die Tour de France. Ich trainiere meinen Geist. Gute Fahrt, Jungs. Und immer aufrecht im Sattel bleiben, ich weiß wie es sich anfühlt wenn man den Sattel verliert. Airtime, aber Scheissgefühl.

 Da, ein Gasthof mit Mopeds vor der Tür. Unauffällig einen Parkplatz suchen, um nach vorne wieder wegfahren zu können, im Stand nach hinten schieben wirkt noch angestrengt. Wobei der Kerl mit der 1800-er Indian beim Ausparken auch sehr konzentriert wirkt.

Cool den Helm plazieren, Jacke aus und irgendwas essen. Andere Moped anschauen, und vor allem die sehnsüchtige Blicke der Männer,  die mit ihren Frauen vorbeikommen und in ihren Passat einsteigen. Und von Motorrädern träumen. Wenn nur die Alte nicht wäre.
An einer Tankstelle hält doch tatsächlich zwei Sekunden nach mir eine Bonneville T120. Mit grünen Tank. Hey, wie fährt die sich so? Wie ein richtiges Motorrad. Sieht im Vergleich zur AfricaTwin bisschen klein aus, aber supercool. Der Kerl ist noch cooler. An einem anderen touristischen Hotspot die MotoGuzzi V85TT, der Fahrer höchst zufrieden (nur lange Lieferzeit. Kein Wunder, aktuell das einzige gescheite Modell dieses Traditionsunternehmens ). Schnelle Kontakte, nette Gespräche. Da und dort beobachte ich, wie andere um mein Eisenschwein streichen und die Kampfspuren kommentieren. Jaja, die hat sie. Hat mich zweimal abgeworfen, aber ist dabei tapfer geblieben und hat mich jedesmal den Umständen entsprechend gerettet. Sie konnte ja nichts dafür. Vielleicht ein Grund,  warum ich ihr treu bleibe und ihr vertraue (wobei diese blödsinnige Emotionalisierung von 200 Kilo Altmetall tatsächlich dabei hilft, das Vertrauen wieder aufzubauen.)
So kommt es, dass ich am dritten Tag auch mal auf 120 beschleunige, und kurzentschlossen den Plan ändere:  wieso wieder Heim,  woanders ist auch schön. Neue Disziplin: spontan entscheiden, keine lang ausgetüftelte Tour, sondern Strecke machen.   Also Mosel. Trier in Google Maps eingeben, keine Autobahn,  und am Ende doch 100 Kilometer die Autobahn genommen. Kurze Erholungspausen in den einspurigen Baustellen,  aber tapfer bei 100 Sachen geblieben, beim Überholen von LKWs auch mal etwas mehr. Aber zackig zurück auf die rechte Spur. Nein, nicht überlegen, wohin ich fliegen würde,  wenn jetzt der Reifen platzt oder die Kette reisst. Nein, nein, nein. Summ ein Lied im erstaunlich ruhigen Helm. Sowas passiert einmal und nie wieder. Nie nie wieder wieder. Nein, passiert nix. Vertraue. Denn Vertrauen ist der Anfang von allem (jaja, und am Ende sind die Käufer dieses Werbespruchs  durch Lügen, Betrug, Korruption und sonstiger krimineller Energie unangenehm aufgefallen).

Also Erleichterung,  als Trier erreicht ist. Nächsten McDonald ansteuern und Hotel buchen. An der Tankstelle eine Flasche Rotwein, und abends dann doch eine Flasche Mosel-Riesling im Hotel-Restaurant  getrunken (aber kommt nicht gegen meinen Hasensprung von der Villa Gutenberg ran).  Tanken eine gewohnte Überraschung:  Schon wieder weniger als 5 Liter auf 100. so sparsam fährt wohl niemand eine AfricaTwin. Außer Reha-Fahrer auf therapeutischer Tour. Aber es funktioniert.  Erfahrung kommt von erfahren kommt von fahren.
Das Hotel heißt „Schöne Aussicht“ , und die hat es auch (ich erinnere mich mal in einer gleichlautenden Straße gewohnt zu haben), dafür gibt’s da oben am Berg wohl kein warmes Wasser. Die Morgendusche ist schnell und erfrischend,  deshalb zu früh am Frühstück. Dauert noch einen Moment, heißt es, lässt mir Zeit das Moped zu packen. Hab ich mir doch gedacht,  dass die beiden Holländer am Abend am Nachbartisch ihre Donnerbüchsen rund um meine AfricaTwin geparkt haben. Aber ich bin ja nur einmal beim Abbocken vom Hauptständer umgefallen, das sollte mir nicht mehr passieren.

An der Mosel

In der Morgenfrische auf einer ungewohnt gut ausgebauten Bundesstraße die Mosel entlang, zum Glück noch wenig los, da stört es nicht dass ich mit 70 dahingleite. Was sehe ich auf der anderen Flussseite ? Da schraubt sich doch eine Straße in Serpentinen die Weinberge hinauf. Rüber und mal wieder etwas Kurventraining. Aber nur kurz, eine Panoramastraße  gibt einen schönen Ausblick auf diese Gegend. Schon seit knapp 2000 Jahren wird hier Wein angebaut, sowas nennt sich Kulturlandschaft. (Und wieder Frage ich mich, welche arme Sau einst einen vergammelten Traubensaft getrunken und dann gemerkt hat, wie er die Sinne befreit.  Kulturtechnik ist eine Abfolge von Zufällen).

Noch mehr Mosel

Es ist Samstag,  Traumwetter und touristisch eine beliebte Gegend,  um die Mittagszeit wird es deutlich. Rentner in allen Evolutionsstufen (von kurzer Hose in Tennissocken bis fliederfarbener Pullover um die Schulter geschwungen) wälzen sich durch die Altstadt, die Campingplätze am Ufer voll gestellt mit neuester Weißware. Aber recht haben sie, ist schon schön hier (Eigentlich sogar schöner als der Rheingau…) . Und die haben wenigstens Wein als Wirtschaftsgut, in den Vogesen gab es nur Landschaft. Sonst nix.

Ich merke, heute ist eine weitere Disziplin mir nahe: Bummeln, schauen, sanftes Schwingen. Wie früher beim Skifahren:  den letzten Tag lockeres Ausfahren. Mosel ist ja eigentlich Cabrio-Gegend, sollte ich mal nächstes Frühjahr…

Zum pinkeln rechts hoch in die Weinberge, ganz oben ist Wald, da sollte sich ein Plätzchen finden. Der Asphalt endet kurz vor dem Wald. Ob ich mich verfahren habe, fragt ein netter Weinbauer aus seinem Suzuki Jimny. Bevor mir eine Ausrede einfällt sage ich ihm die Wahrheit. Er blickt nur kurz auf das Motorrad, ich solle doch da den (fies geschotterten steilen) Weg in den Wald nehmen, da würde ich ein Plätzchen finden. Und braust den Waldweg hoch. Also in die Rasten,  zweiter Gang und hoch. Klappt. Das Pinkeln auch.

Städte sind ein Graus, in Koblenz auf der Suche nach der Lahn verloren gegangen, und in Limburg ebenso. Lahn ist was für Kanufahrer, die Seitenstraßen was für Motorradfahrer. Die letzten Meter bekannte Strecken, beim Einrollen in die Heimat irgendwie gefühlt 4 Wochen weg gewesen, nicht 4 Tage. Dabei „nur“  1400 kilometer in 27 Stunden im Sattel abgeritten, also einen knappen Arbeitstag pro Tag „gearbeitet“ (eigentlich ohne Anführungszeichen,  denn es war Arbeit. Geistige und auch ein bisschen körperlich). Zwar im Vergleich zu anderen Motorradfahrern gemütlich,  eine Royal Enfield mit 27,5 PS hätte 90 Prozent der Zeit gereicht, aber a) der Anfang, und b) die anderen 10 Prozent….

Ich bin stolz auf mich, auf das Eisenschwein und freue mich, dass der Spaß die Angst übersteigt. Und ich die Angst aktiv durch gnadenlose Desensibilisierung bearbeitet habe.

Dieser Weg war kein leichter, aber jeder muss den Weg gehen der ihm bestimmt ist (oder, weniger pathetisch,  den er gehen will…)

Zwei Monate später auf La Palma mit einer gemieteten Honda CRF250

2 Kommentare Gib deinen ab

  1. Spätes outcoming, aber besser spät als nie! Respekt vor deinem Seelenstriptease und fahrtechnische kognitiven Kunstturnen.

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