Gleichwohl ich kein Freund eines Prologs bin, so finde ich einen Epilog nicht ganz so schlimm (Eingeweihte werden wissen, was ich meine).
Diese Tour verlangt nach einem Resümee: 2660 Kilometer in 56 Stunden Fahrzeit auf 7 Tage verteilt, die längste Tour die ich begonnen und beendet habe (die längste geplante Tour endete letztes Jahr ja ein Tag vor dem Start auf der A3 bei Seligenstadt).

Corona verhalf mir zu einem zweiten Motorrad: da die Marokko-Tour in März nicht stattfinden konnte, hatte ich Zeit, den zahlreichen Mahnungen und Hinweise, dass die AfricaTwin für engagiertes Offroad-Fahren zu schwer sei, nachzugehen und so kam die KTM 690 Enduro ins Haus.

Lange habe ich mich gewehrt gegen die KTM (ehrlicherweise primär durch Vorurteile bedingt: KTM=Keine Tausend Kilometer etc.), aber am Ende siegte die Einsicht: es gibt nichts Leichteres und gleichzeitig Kräftigeres im Markt (immerhin der größte und stärkste Serieneinzylinder, den man kaufen kann).
Eine Probefahrt mit versprochenen Ergebnis („mach es nicht, danach wirst du nichts anderes haben wollen“) gab dann auch den emotionalen Kick für die Entscheidung.
So sollte diese Tour nicht nur ein Kurventraining für den Motorrad-Anfänger sein, sondern auch ein Kennenlernen mit der KTM.
Ein paar Anmerkungen zur Technik:
- Lenkererhöhung und niedrigere Fußrasten haben sich bewährt, im Stehen stehe ich wirklich entspannt.
- Die Handguards mögen beim Umfallen den Brems-bzw. Kupplungshebel schützen, aber vor Wetter schützen sie nicht.
- Die geplante Rallyefront mit Windshield werde ich mir wohl sparen, so völlig „naked“ fuhr es sich überraschend gut: bis 110 km/h drückt kein Wind, und bis dahin sind die Windgeräusche am Helm viel geringer als mit Windshield.
- Dieses seeehr reduzierte „Cockpit“ mit einer schmalen Digitalanzeige im Stile einer 80-er Jahre Casio Digitaluhr ist lachhaft: nur Geschwindigkeit, mehr nicht. Ich fahre gerne nach Drehzahlmesser, und dann und wann wäre eine Ganganzeige hilfreich gewesen. Und was auf alle Fälle dran muss: eine Außentemperaturanzeige.
- Der „Quickshifter“ zum Schalten ohne Kupplung ist eine tolle Sache, nur springt ab und zu das Getriebe in den Leerlauf. Ziemlich blöde, wenn man gerade überholt und man vom 3. in den 4. Gang schalten will. Dann gibt’s viel Lärm, aber keinen Vortrieb. Mal bei der KTM Werkstatt fragen, ob da was zu machen ist.
- Heizgriffe, Heizgriffe und nochmal Heizgriffe: zum Ersten, weil dann die Griffe etwas dicker werden, das entspannt die Hand. Zum Zweiten, weil es auf 2700 Meter auch im Juli echt kalt werden kann. Und zum Dritten trocknen sie klatschnasse Handschuhe im Regen.
- Handling: ja, das niedrige Gewicht ist eine Freude. Einige Experimente auf „braun gestrichelten“ Wegen hätte ich mit der AfricaTwin nicht gewagt. Und wie die KTM über groben Schotter bei bisserl Gas bergauf wühlt, das ist eine Freude.
- Auf der ganzen Tour habe ich kein „kleineres“ Motorrad gesehen, ich glaube ich fuhr die einzige Einzylinder in den Dolomiten. Und doch hätte ich gegen die SUVs nicht tauschen wollen. Für die eine GS, die ich bergab habe ziehen lassen müssen (und das war einer, der dieses 250 Kilo Schiff bewegen konnte), bin ich an 20 GS-en mühelos vorbeigezogen.
- Neidisch war ich nur auf deren Sitzbank… Boah ey, was hat die KTM für einen Folterbalken. Das muss anders werden. Nur nochmal 2 Zentimeter höher durch Aufpolsterung geht nicht, komme jetzt schon nicht mit beiden Füßen komplett auf den Boden. Da muss ich mir was überlegen.
- Die schräglagenabhängige Traktionskontrolle ist ein feines Feature, hätte ich nicht gedacht. Auf Stufe 1 (von 2…) lässt sie gaaanz leichten Schlupf zu, aber gerade so, dass man merkt, wie das Hinterrad etwas wegschmiert, ohne auszubrechen. Gibt ein gutes Gefühl und Mut, am Scheitelpunkt den Hahn zu spannen (gerade dann, wenn man das Messer zwischen den Zähnen hat und einem Profi durch die Kehren folgt).
- Den „Tank“-Rucksack (der Tank ist ja hinten…) ist hilfreicher als gedacht: beim Fahren im Stehen gibt er über die Oberschenkel guten Kontakt zum Motorrad. Den werde ich wohl behalten, auch wenn er scheisse aussieht.
- Zum Thema Tank: der ist ja hinten und ziemlich klein, aber bei nur 4 Liter auf 100 Kilometer reicht er für 300 Kilometer, also genug (in industrialisierten Ländern…). Einen Zusatztank werde ich mir sparen.
- Ich glaube, den Scheinwerfer werde ich mal einstellen lassen müssen. In den zahlreichen Tunnels hat der Scheinwerfer alles mögliche angeleuchtet (den vorderen Kotflügel, die Tunneldecke), aber nicht die Straße. Die Tunnels waren immer Blindflug.
- Die KTM ist ein Raptor an der Kette: Zerrt und beißt und springt voran, und wehe die Käfigtür (=Gashahn) wird geöffnet, dann fetzt das Tier davon. Die ersten drei Gängen habe ich immer noch nie voll angelegt (zuviel Angst, dass sie dann vorne hochgeht. Hab das einmal erlebt, und das reicht).
Und zur Strecke? Wenn mich jemand fragt, welche der über 40 Pässe der Beste war: ich könnte keine Antwort geben. Die Strecke war supergeil, jeden Pass würde ich wieder fahren (und hoffe, sie bald wieder fahren zu können). Außer vielleicht das Stilfser Joch….
Landschaftlich sind die Dolomiten eine Wucht: als ob man durch ein 3D-Kino fährt. Hammer. Oft genug bin ich in den Schlendermodus gefallen, weil ich links und rechts die Berge bewundern musste.

Und so eine Tour ganz allein fahren? Als ich damals die Tour nach Istanbul plante (als Begleitung von Markus und Frank) und ich vor den 2 Wochen allein zurück etwas Schiss hatte, da sagte Markus „diese zwei Wochen allein auf dem Motorrad werden die geilsten zwei Wochen in deinem Leben“. Nun, ich hatte schon gute Zeiten in meinem Leben, und diese eine Woche allein mit dem Raptor durch die Dolomiten gehört auf alle Fälle dazu.

Sehr schön.
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Ich bin leider erst heute dazu gekommen den Blog in Ruhe anzuschauen. Sehr gute Streckenbeschreibung und hilfreiche Bemerkungen zur KTM. Der Trend geht wohl doch eher zu großen Maschinen. Aber für die von dir beschriebene Tour, scheint die KTM die richtige Wahl zu sein. Hut ab, für den Aufwand bei den Selfies 😁
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