Yamaha XJR 1300 SP („Die Dicke“)

Die Dicke

Als (nach Unkenrufen naher Bekannter „vorerst“) letzter Zuwachs meiner Garage kam „Die Dicke“ dazu: Eine Yamaha XJR 1300 SP aus dem Jahr 2000 (Modellcode „RP02“).

Hintergrund war einfach: Wenn ich schon mit dem Motorradfahren anfange, dann muss der Klassiker schlechthin in die Garage: Das, was unsereins in Kindertagen als „Big Bike“ bezeichnet wurde und heute als „naked Bike“ oder „Klassiker“ durchgeht: 4 luftgekühlte Zylinder, Doppelnocke, Vergaser. Und Kraft, die nahe ans Unbeherrschbare kommen muss.

Oder, wie es 1999 eine weibliche Motorradjournalistin formulierte: „Edel sei das Bike, reich an Kubik und Schub. Als der Herrgott am elften Tag das Motorrad erschuf, formte er ein mächtiges Naked Bike. Wer jemals auf einer Kawasaki ZRX 1100, Suzuki GSX 1200 oder Yamaha XJR 1300 saß, weiß das.“

Ein kurzer Abriss zur Geschichte der Big Bikes

Die japanischen Big Bikes, erst ab 750 Kubik, dann schnell der Liter und mehr, waren aber keine Erfindung der Japaner, sondern die Antwort auf die Motorräder aus England. In den 60er Jahren kamen die echten Traummaschinen aus England, während man in Deutschenland mühevoll hergerichtete Horex, Adler und Zündapp fuhr (und natürlich BMW). Die britische Motorradindustrie startete bereits Anfang 1900 mit so klangvollen Namen wie „Royal Enfield“ (heute indisch), „Triumph“ (heute immerhin wieder in britischer Hand) und „BSA“ (Pleite 1973). In den USA waren Triumph und andere britische Motorräder nach dem Krieg sehr verbreitet und beliebt, auch weil England wegen seiner Schulden bei der USA für die Lieferung von Militärgütern während des 2. Weltkrieges den Export nach USA forcierte. 1955 war eine Triumph das schnellste Motorrad der Welt (mit knapp 350 km/h !!) auf dem Salzsee „Lake Bonneville“ in Utah (Aha, daher der Name der aktuelle und wirklich schönen „T120 Bonneville“!). Marlon Brando, Steve McQueen und Clint Eastwood fuhren in Hollywood-Filmen Triumph Motorräder. Berühmt die Szene in „Gesprengte Ketten“ von 1963, als Steve McQueen mit einer Triumph TR6 Trophy zu fliehen versucht (und am Ende im Stacheldrahtverhau den zerschossenen Tank sanft tätschelt).

So war Anfang der 60er Triumph der größte Motorradhersteller der Welt. Und so langsam begann der Untergang der so traditionsreichen britischen Motorradindustrie (wie zeitgleich ja auch der des Automobilbaus): Die Japaner waren mit kleinen 400-er Motoren technisch viel weiter wie die auf alter Technik basierenden englischen Bikes. Schlechtes Management, Streiks, teure Produktion, geringe Zuverlässigkeit beschleunigten den Niedergang der britischen Motorradindustrie und beschleunigten den Aufstieg der Japaner, die zu dieser Zeit halt vieles richtig machten: Zuverlässigkeit, Zeitgeist, modernes Management und bessere Technik. Soichiro Honda ging 1959 auf die Isle of Man zur „TT“ – Tourist Trophy, um auf Anhieb in der 125-er Klasse und 1966 in allen Klassen den Konstrukteurstitel zu gewinnen. „Win on sunday, sell on monday“, wie Ford (bzw. Bob Tasca, einer der größten Ford-Händler in den 60ern) sagte und heutzutage in Perfektion von KTM umgesetzt wird. Denn nur ein Bike, das im Rennsport für Siege gut war, würde sich als Großserien-Maschine verkaufen lassen, schlussfolgerte Mr. Honda messerscharf.

Aber auch in Italien und Deutschland schien man die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Moto Guzzi baute die V7, BMW setzte die Boxer-Generation mit der taufrischen R75/5 fort. Gegen diese Donnerbolzen wirkte Hondas damaliges Topmodell CB450 Super Sport wie ein Exote. Zwar war sie ein quicklebendiger Wetzhobel, mit zwei obenliegenden Nockenwellen, Gleichdruckvergasern, 43 PS und einem Drehzahlpensum von fast 10000/min, doch blieb sie eben nur eine „450er“. Was fehlte, war eine „Dicke“, um den Engländern zeigen zu können, dass sie bessere Dreiviertelliter bauen konnten.

So erschient am 25. Oktober 1968 auf der 15. Tokyo Motor Show mit der Honda CB750 Four das erste „Big Bike“ der Japaner, die Mutter aller „Big Bikes“. Eigentlich für eine Jahresproduktion von nur 1000 Stück vorgesehen, mit einer Tagesproduktion von 25 Maschinen (zwei Jahre später waren es 300 pro Tag), verkaufte sich dieses Modell unerwartet von alleine und in neun Jahren insgesamt 550.000 mal. Und so wurde dieses Modell 1999 zum „Motorrad des Jahrhundert“ gewählt.

Der Erfolg dieser Honda CB740 Four war natürlich der Startschuss für die anderen japanischen Motorradbauer, 1972 kam die Kawasaki Z1 Super Four und Suzuki ließ auch nicht lange auf sich warten. Yamaha tat sich zu dieser Zeit noch etwas schwer mit Viertaktern, hatte man doch erst Mitte der 1950-er Jahre mit Motorrädern angefangen und lange auf Zweitakter gesetzt.

Das Marketing für diese schnellen Dreiviertelliter konnte aber auch schonmal daneben gehen: Am 20. April 1977 erschien eine Werbung von Suzuki für die GS750 mit dem Slogan „Die Sportskanone für Scharfschützen“, ohne dass bei Beauftragung der Werbung jemand wissen konnte, dass zwei Wochen vorher zwei RAF-Terroristen auf genau diesem Modell sich dem Mercedes von Generalbundesanwalt Siegfried Buback näherten, ihn erschossen und davon brausten…

Bis Ende der 70er Jahre war die Motorradindustrie beim „satten Liter“ angekommen (und die meisten britischen Motorradhersteller Geschichte), 1000 und 1100-er Motoren waren das Ende der Nahrungskette auf der Piste. Das Wettrüsten ging nicht nur in die Höhe (Hubraum), sondern auch in die Breite: 1972 kam mit der „Benelli 750 Sei“ der erste Serien-Sechszylinder, legendär die „Honda CBX“ 1978 mit einem Liter auf 6 luftgeühlte Zylinder verteilt. Diese Honda mit offen 105 PS war der Grund für die Selbstbeschränkung der Importeure auf 100 PS, weil das deutsche Verkehrsministerium das Wettrüsten mit einer offiziellen Beschränkung auf 75 PS zu beenden drohten. (Diese Selbstbeschränkgung dauerte nur 20 Jahre und endete 1998)

Das Wettrüsten in der Anzahl Zylinder endete jedoch schon Ende der 70er / Anfang der 80er, da die 4 Zylinder Motoren ähnliche Leistung brachten und die Herstellung, Wartung (24 Ventile und 6 Vergaser wollen in Ruhe eingestellt werden) und Betrieb (12 Liter auf 100 sind es dann schon) dieser „fetter is netter“-Geräte einfach zu teuer war. So beschränkte man sich auf die Hubraum- und Leistungssteigerung bei den 4-Zylinder Motoren. Kawasaki brachte 1977 die Z1000, Yamaha konterte 1978 mit der XS1100: 4 Zylinder luftgekühlt, 95 PS und gut 280 Kilo. Damals das (hubraum-)“größte“ Motorrad der Welt.

Das Ende des Hubraum-Wachstums (auf 4 Zylindern) wurde erst mit der Suzuki GSX 1400 im Jahre 2001 entschieden, die Hochzeit der nackten Dicken ging aber schon langsam zu Ende, nur Yamaha stemmte sich mit der XJR1300-Serie bis 2016 dagegen.

Modelle der XJR1300

Im Detail: 1984 wurde die XS1100 durch die FJ1100 abgelöst, die bis 1995 auf 1200 Kubik anwuchs. Die FJ war aber vollverkleidet und setzte sich als „Sporttourer“ ins Regal.

1994 kam dann die „nackte“ XJR1200 auf den Markt, und ab 1999 verbessert und vergrößert die XJR1300, die in verschiedenen Modellreihen bis 2016 verkauft wurde.

ModellbezeichnungBaujahr
RP021999-2001
RP062002-2003
RP102004-2006
RP192007-2016
Aktuell fahren noch über 6000 XJR1300-er durchs deutsche Land, in Hessen rund 500. Und nun eine mehr in Hessen und eine weniger in NRW.

Die erste Version „RP02“

Rückruf Yamaha XJR 1300 (Typ RP19) | MOTORRADonline.de

In der letzten Version ab 2007 dann mit elektronischer Benzineinspritzung, G-Kat., 4-in-1 Auspuff und modern gekürztes Heck.

Ich habe mich für die XJR1300 und nicht für die noch dickere Suzuki GSX 1400 entschieden, weil nur die Yamaha interessantere Farben anbot (und das aktuelle Angebot der XJR1300 einfach dreimal so groß ist wie das der Suzuki). Weiterhin habe ich mich bewusst für die erste Modellreihe „RP02“ in der Sonderausgabe „SP“ aus dem Jahr 2000 entschieden und nicht für ein späteres Modell: Hauptsächlich weil die späteren Modelle mir „zu modern“ designed waren (und zuwenig Chrom hatten), auch wegen der Mehrfarbenlackierung in rot/schwarz/weiß, der 4-2 Auspuffanlage („Schubkarre“) und den silberfarbenen Motorblock (frühere und spätere Modelle waren schwarz). Auch wenn ab 2002 bei allen Modellen die Öhlins-Dämpfern (bis dahin nur den SP-Modellen vorbehalten) montiert waren, so gilt die RP02 in der „SP“-Version heute als wertstabiler. Und das „Topham“-Tuning Kit war nur für die RP02 eintragungsfähig. Außerdem ist sie in 10 Jahren „Oldtimer“…!

Die rote Farbgebung ist recht selten, als ich auf der Suche war gab es bei Mobile insgesamt 103 XJR1300-Modelle, davon 3 in rot….(meist halt Yamaha-blau oder schwarz).

Große Erfolge bei Motorradtests hat die XJR nie eingefahren, meist war den Testern das Fahrwerk zu weich, der Ofen zu schwer, oder irgendwas anderes hat Suzuki mit den „Gixxern“ (GSX-xxxx) oder Kawasaki mit den Z-Modellen besser gemacht. („Klare Lenkimpulse sind gefordert, Körpereinsatz schaden nichts….bewegt sich ihr Handling auf niedrigerem Niveau als das der Konkurrenz… nichts für extreme Heizer…  Die Federelemente sind zu weich abgestimmt, um damit auf schlechten Straßen auch nur ansatzweise sportlich zu fahren. Trotz aller Einstellmöglichkeiten spielt die XJR sich wie ein wilder Bronko auf, schlägt durch, gautscht und hält die Linie in Kurven nicht mehr.„)

Nur bei den Bremsen waren sich die Tester immer einig: Die Yamaha hatte die besten, die Bremsanlage stammte vom Supersportler YZF-R1. (“ Vierkolben-Festsättel, extrem geringe Bedienkräfte und eine Wirkung, als würde man einen Bremsfallschirm mit dem Durchmesser eines Heißluftballons öffnen“)

Doch begeistert waren die Tester immer:

Die goldene Mitte. Ein Bike, das wirklich fast alle glücklich macht. Diejenigen, die sich abends bei einer Kiste Bier verzückt über sie beugen und den Motor beliebäugeln wie die vermeintliche Traumfrau. Oder Tourenfahrer, Umsteiger vom Cruiser sowie klassisch orientierte Biker. Die XJR leistet sich keine groben Schnitzer, der größte Vorteil der Yamaha ist und bleibt ihre Beständigkeit.“

Die XJR 1300 ist eine Zeitmaschine, ein Entschleuniger des Alltags. Auch wenn sie diesen Test sicherlich nicht gewinnt, ist sie unbestritten die Schönste im Feld und wird es auch in 20 oder 30 Jahren sein.“

„Verzückt mit Drehmoment und einer zeitloser Eleganz. Eine Mischung aus der Monroe und den Weather Girls. Ein Bike, wie es sich echte Biker wünschten und immer wünschen werden.“

Ein Muskelprotz in Nadelstreifen.. Das XJR Triebwerk ist ein sanfter Riese mit besten Umgangsformen…Komfortbetont werden vor allem ruhige Genussmenschen daran ihre Freude haben… glänzt vor allem durch Gutmütigkeit…. ist einfach ein geiles, fettes Ding. Alles an ihr ist aus dem Vollen geschnitzt. Ein Motorrad, für das der Raum im Herzen so groß ist wie der nötige Stellplatz in der Garage.“ (nun, den hat sie ja bei mir…)

Oder, wie Zonko es ausdrückte: „„Eine nackte Tausender ist das höchste Gut auf diesem Planeten! Danach gilt es zu streben, alles andere ist Beiwerk. Die XJR ist der letzte Mohikaner. Der große, luftgekühlte Block, der im fünften Gang von 50 bis 220 unvergleichlich souverän und mitreißend durchzieht, ist der letzte seiner Art. “ 

Ich hatte mich also für die erste Baureihe in rot-weiß-schwarz entschieden, aber eines gab es bei den RP02 Modellen noch zu haben: Das sogenannte „Krause Kit“ (Krause war ein Yamaha Händler in Dortmund, der das „Topham Tuning Kit“ verbaute) mit TÜV-Siegel. Und im Ergebnis keine 98 PS, sondern 133 PS. Und über 100 NM Drehmoment fast ab Standgas, 120 NM bei 6000/min. Nun, könnte der geneigte Leser meinen, ob 100 oder 130 PS, vor allem erst richtig spürbar ab 6000 Umdrehungen, muss das sein? Und wie so oft lautet die Antwort: Nein, muss nicht sein. Aber geil ist’s schon…..

Die Bestandteile des Tuning Kits: CNC gefräster Aluminium Luftfilterdeckel mit vergrößertem Ansaugquerschnitt, der also mehr Luft ansaugt, die durch 32,5 Millimeter (Serie 29,5) größere Ansaugstutzen in die Vergaser weht (20% größer), dort in den Vergasern sitzen größere Düsen, und hinten geht es durch den modifizierter Serienauspuff mit 32 mm Austrittsöffnung (gegenüber 20 mm in der Serie mehr als doppelt so großer Austritt) wieder raus. Die veränderte Zündung (6 Grad früher) kann dafür sorgen, dass doch das bessere Benzin getankt werden sollte (falls Klopfen auftritt).

Wie steht in einem Testbericht: „Bis 6000/min kann eine Serien-XJR noch problemlos mithalten, doch dann rennt ihr die Krause-Yamaha davon wie ein Rind vor dem Brandeisen. Im Ersten sogar erhobenen Vorderrads… Wichtiger ist, was auf der Landstraße geht. Und da geht schon bei der normalen XJR 1300 mit ihrem durchzugsstarken Reihenvierer eine Menge. Doch die Krause legt noch einige Briketts nach, entfacht ein wahres Feuerwerk.“

Warum der Vorbesitzer 18 Jahre lang dieses Tuning-Kit fuhr OHNE TÜV-Eintragung weiß ich nicht, denn es war denkbar einfach: Das Gutachten aus dem Internet runterladen, zum TÜV fahren, der Prüfer fuhr eine Runde auf dem Hof, stellte das Motorrad in der Halle ab, blätterte durch das Gutachten, murmelte „Das kann man von außen ja nicht sehen, oder?“ und saß dann nochmal zehn Minuten am Computer, tippte artig ab was im Gutachten stand und mit dem Wisch habe ich bei der Zulassung nun alles eintragen lassen.

Ansonsten war das Modell perfekt: Gerade 26.000 Kilometer gelaufen, sinnige Verbesserungen verbaut (progressive Federn vorne, Öltemperaturmesser, Chromblende für den Ölkühler) und in einem gut gepflegten Zustand.

Nur das Putzen nach einer Ausfahrt ist so eine Sache. Muss ja weiterhin so glänzen.