Walküre

Die Honda „Walküre“, die in Europa so nicht heißen durfte, in Amerika aber „Valkyrie“ genannt wurde, ist einer der erfolgreichsten Versuche der Japaner, Ende letzten Jahrhunderts was gegen Harley zu setzen. Einen Cruiser, der diesen Namen verdient.

Als Basis für den Motor diente die Goldwing, mit ihrem 6-Zylinder-Boxermotor ohnehin schon einsam in der Liste der möglichen und unmöglichen Motorenkonzepte dieser Zeit. Für den Cruiser wurde ein neuer Rahmen gebaut, der ganze Plasikkram der Goldwing ignoriert, und der Motor noch ein wenig flotter gestaltet (O-Ton Honda Presseabteilung damals: „Es fehlte dem für kultiviertes Cruisen konzipierten Sechszylinder-Boxer ein wenig an der nötigen Aggressivität.”): Statt 2 einsamen Vergasern, die die 6 Zylinder anhauchen, sind nun pro Zylinder ein eigener Vergaser für die Kraftzufuhr verantwortlich, und eine schärfere Nockenwelle soll die „nötige Aggressivität“ erzeugen. Insgesamt sind da nun 1.5 Liter Hubraum, die in Europa auf knapp unter 100 PS gedrosselt wurden (in USA sind es ca. 102 PS), aber immer noch 140 NM Drehmoment (bei 4.200 Umdrehungen) erzeugen.

Gebaut wurde dieser Über-Cruiser auch direkt in USA, von 1997 bis 2004. Für den amerikanischen Markt gab es verschiedene Modelle, die dann doch wieder mit viel Anbauteilen den „nackten“ Chopperstil verunstalteten, nach Europa kam (zum Glück) nur das „nackte“ Modell. Hier allerdings nur unter dem technischen Namen „F6C“, was für „Flat six custom“ steht: 6 Zylinder Boxer „custom“. Im Quartett muss sich die Honda-Walküre den Harleys nur beim Gewicht geschlagen geben, ca. 330 Kilo vollgetankt gilt im Harley-Universum als „Leichtgewicht“. Dafür hatte sie mehr Zylinder (deutlich mehr), und mehr PS (deutlich mehr).

Die Überschrift im ersten Test in der Zeitschrift „Motorrad“ lautete auch ganz unbescheiden „Vergessen Sie alles, was Sie jemals über Cruiser gehört haben„. Und es folgte eine Huldigung auf diese nordische Göttin („prächtiger Antritt, enorme Elastizität, geschmeidiger Lauf, einprägsamer Sound. Vom ungestümen Wilden, der in Null Komma nichts auf Hochtouren läuft, bis zum abgebrühten Souverän, der die Welt an sich vorbeiziehen läßt – egal, welche Rolle er spielen muß, der Boxer-Motor beherrscht sie.“)

Für mich stellten sich vor dem Kauf einige Fragen:

  • Cruiser? Wofür?
    • Antwort: Zum Cruisen. Auch ich wollte mal so lässig und entspannt in den Sonnenuntergang reiten, entschleunigen, chillen. Die „Dicke“ ist zwar auch schön und älter, aber neigt irgendwann doch zum Angasen…
  • Welche Kerneigenschaften?
    • Schön sollte der Cruiser sein. Zum Niederknien schön.
    • Aber, und das ist das Hauptproblem bei Cruisern, dennoch mit Schwung durch die Kurve zu fahren. Bei sehr sehr vielen Cruisern setzen die Fußrasten, oder, noch schlimmer, feste Anbauteile am Asphalt auf. Sooooo gemütlich wollte ich dann doch nicht fahren. Also sehr viele Testberichte gelesen und immer wieder darauf geachtet, was zum Thema Schräglagenfreiheit da beschrieben steht.
    • Und gerne auch ordentlich PS. Gibt ja auch durchaus schöne Cruiser aus Japan, die aber mit 60 PS oder so daherkommen. Das war mir zu dünn.
  • Welche Marken kommen in Betracht?
    • Auf garkeinen Fall Harley. Nein. Niemals GS, niemals Harley. Mit einer Harley bist du im Harley-Universum „gefangen“, bist automatisch Kuttenträger, in einer Reihe mit den ganzen Zahnwälten, die fürs Wochenende den feinen Zwirn ablegen und eine möglichst teure, weil sehr abgewetzt wirkende Lederjacke überstreifen und den Rebell spielen. Nein, in dieses Universum wollte ich nicht. Kommt hinzu, dass Harley halt nur diese blubbernden V-Twins haben, und mit der Varadero habe ich schon einen V-Twin. Ich stehe auf verschiedene Motorenkonzepte.
    • Dann gibt es noch von Triumph den „Commander“ , ein wirklich herrlich anzuschauender Cruiser. Reihentwin mit 1.7 Liter Hubraum, ordentlich Power (94 PS), und auch sportiv zu bewegen. Aber auch für gutes Geld, 2014-2018 gebaut, und mit 380 Kilo deutlich schwerer wie die Walküre. Soll man nicht denken.
    • Alles andere (Yamaha Wildstar, Suzuki Intruder) hatten Einschränkungen in der Schräglagenfreiheit oder Power.
  • Wie kam es zur Walküre?
    • Zum einen fiel sie anhand der Spezifikationen ins enge Raster, und zum anderen bin ich schon mal eine gefahren: Ein Kumpel hatte sich letztes Jahr eine gekauft, schönes wirklich customized Modell. Daher wusste ich, was mich erwartet.
    • Das Angebot auf dem Markt ist groß, denn viele Besitzer haben jetzt das Problem, was ich in einigen Jahren haben werde: Zu schwer fürs Alter. Zum Glück gibt es keine Besonderheiten innerhalb der Bauzeit, da gab es keine Facelift-Modelle oder so. Das einzige, was es zu beachten gab: Ein importiertes US-Modell, oder offizielles Europa-Modell? Letzteres hat den Vorteil, dass die Lichtanlage besser, der Auspuff leiser und der Verbrauch etwas geringer ist.
    • Blieb die Farbauswahl. Leider gibt es mein favorisiertes schwarz/rot nur selten, und nur als US-Modell. Gefühlt 80% der angebotenen Modelle sind schwarz-schwarz, das ist unglaublich langweilig, aber ein paar wenige „Kupfer-Schwarz“-Modelle habe ich gesehen. Ist eigentlich noch schöner.

Dieses Modell, das ich dann gefunden habe, war in guten Händen, unglaublich gepflegt (im Vergleich zu manch anderen, die ich gesehen habe), und eben in dieser tollen Farbkombination. Durchs Handeln hatte ich noch etwas Budget für eine Generalinspektion bei einem Walküre-Spezialist hinter Darmstadt, und auch für extra-Bling-Bling, was ich noch dazu gekauft habe:

Da gibt es diese Fake-Offenen-Luftfilter, die so schön nach oben ragen. Ist zwar echter Fake, gänzlich ohne Funktion, aber die unauffällige Abdeckplatte, die an ihrer Stelle dort am Ansaugtrakt sind, waren doch sehr unauffällig.

Diese Rückspiegel musste ich noch haben… Wenn man genau hinsieht, sind das so skelettierte Hände… Und sie reichen schön weit hinaus, super Blick nach hinten.

Das kleine Täschchen vorne habe ich lange gesucht, einmal wegen passender Farbe, denn die meisten Täschchen für die Gabel sind schwarz, und dann als Rolle. Ich wollte was mit wenigstens etwas Platz.

Ein neuer Sitzbezug: schmaler (der Originalsitz ist wirklich irre breit), und dann mit Nähten in der Kupfer-Farbe… Und statt Sozius-Sitz dieses kleine Rack, um für eine Wochenendtour eine kleine Hecktasche anbringen zu können.

Ansonsten wurde in der Werkstatt gemacht:

  • Neue Reifen
  • Vergaser-Reinigung und Einstellung
  • Ölwechsel
  • Montage Garmin-Halterung
  • Stahlflex-Bremsleitungen
  • Auswechseln einiger vergammelter Schrauben
  • Demontage Original-Windshield (irre groß).
  • Demontage Sozius-Sitz
  • Montage von all dem Chrom-Bling-Bling

Und, wie fährt es sich?

  • Das mit der Schräglagenfreiheit ist in Relation zu anderen Cruisern ok, aber man kommt doch schon auf die Raste, allerdings auch erst bei etwas zügigerer Kurvenfahrt. In der Regel reicht es völlig, und (ich konnte es vergleichen, als ich im Wispertal einer Harley hinterherfuhr) deutlich mehr als bei anderen Cruisern.
  • Durch den niedrigen Schwerpunkt und dem niedrigen Sitz ist der schwere Haufen erstaunlich leicht zu bewegen und auch zu rangieren. Dass Honda den Goldwing-Rückwärtsgang nicht eingebaut haben (nur bei den Modellen für Japan…) stört überhaupt nicht.
  • Auch wenn es knapp 100 PS sind, ist es umgerechnet aufs Gewicht das „langsamste“ Motorrad in meiner Sammlung. Beim Überholen bietet es sich an, mal ein oder zwei Gänge runterzuschalten. Dann aber, so ab 3.500 Touren, geht es wirklich nach vorne. Nur den unendlichen Druck aus dem Drehzahlkeller gibt es nicht in der Form wie z.B. bei der Yamaha.
  • Dafür kann man auch mit ihr im 5. Gang durch den Kreisel fahren und bei Standgas-Drehzahl im 5. Gang wieder (sanft) hochziehen.
  • Kniewinkel und auch die Armhaltung sind erstaunlich gemütlich und auch für lange Strecken ermüdungsfrei.

Also, DAS ist (für mich) der wirklich wahre Cruiser. Jeder Meter ein Genuss.